Dekarbonisierung im Gebäudesektor: Strategie statt Stückwerk

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Bernhard Schochenmaier, Thost Projektmanagement; Mann mit schwarzem Sakko und Brille

Steigende Energiepreise, strengere Regulierung und wachsender ESG-Druck machen die Dekarbonisierung von Immobilienportfolios zu einer strategischen Kernaufgabe. Mit dem deutschen Klimaschutzgesetz, dem europäischen Green Deal und der neuen EU-Gebäuderichtlinie (EPBD) steht fest: Der Gebäudesektor muss liefern.

Besonders die energetisch schwächsten Bestände stehen im Fokus. Die EU fordert, dass bis 2030 mindestens 16 Prozent und bis 2033 mindestens 26 Prozent der energieintensivsten Nichtwohngebäude saniert werden. Verbindlich geregelt wird das über Mindestenergiestandards. Wer untätig bleibt, muss mit Bewertungsabschlägen, steigenden Betriebskosten, höheren CO₂-Preisen und schlechteren Finanzierungskonditionen rechnen.

Transparenz schaffen

Die erste Hürde ist die oft fehlende Transparenz. Viele Eigentümer*innen wissen nicht, wie hoch die tatsächlichen Emissionen ihrer Gebäude sind. Häufig fehlen verlässliche Daten zu Energieverbräuchen, Sanierungsständen oder technischen Anlagen. Hier setzt die Portfolioanalyse an: Sie strukturiert die Bestandsdaten, verknüpft sie mit Benchmarks und macht sichtbar, wo akuter Handlungsbedarf besteht.

Mithilfe von Tools wie dem Carbon Risk Real Estate Monitor (CRREM) lässt sich zudem abbilden, ob ein Gebäude noch auf dem Pariser Klimapfad liegt – oder ab wann es regulatorisch und wirtschaftlich zum „Stranded Asset“ wird. Damit wandelt sich die reine Datenanalyse zur strategischen Prognose. Eigentümer*innen erkennen, wann der Dekarbonisierungspfad verlassen wird und wo Investitionen zur Wertsicherung entscheidend sind.

Strategie in Schritten

Eine Dekarbonisierungsstrategie lebt davon, systematisch vorzugehen – von der Zieldefinition bis zur baulichen Umsetzung. Dafür hat sich ein mehrstufiger Fahrplan bewährt.

1. Ziele und Rahmenbedingungen festlegen: Am Anfang steht die Klärung der Spielregeln: Welche gesetzlichen Vorgaben gelten für den Bestand – vom GEG über die EU-Gebäuderichtlinie bis hin zur Taxonomie? Welche Fristen sind einzuhalten? Und: Soll der Fokus ausschließlich auf Emissionen aus dem Betrieb liegen (Operational Carbon), oder werden auch die Emissionen aus Bauprozessen und Materialien (Embodied Carbon) einbezogen? Diese Fragen entscheiden darüber, wie umfassend die Strategie ausfällt und wie ambitioniert die Zielpfade gesetzt werden.

2. Den Bestand analysieren: Auf einer soliden Datenbasis lassen sich Chancen und Risiken präzise identifizieren. Dazu gehören Energie- und Verbrauchsdaten, aber auch Gebäudekennwerte wie Baujahr, Hüllqualität, Anlagentechnik und bisherige Sanierungsmaßnahmen. Mit Simulationen können verschiedene Szenarien durchgespielt werden: Was bringt eine neue Heizung? Wie verändern Dämmmaßnahmen den Energiebedarf? Welche Wirkung hat die Umstellung auf erneuerbare Energien?

3. Maßnahmen bewerten: Jede Maßnahme muss wirtschaftlich tragfähig sein. Neben den Investitionskosten und der CO₂-Einsparung spielen auch Amortisationszeiten, Lebenszyklen der Bauteile und mögliche Förderungen eine Rolle. Ein intelligentes Bewertungsverfahren sorgt dafür, dass Ressourcen dorthin fließen, wo sie den größten Hebel haben.

4. Priorisieren und umsetzen: Nicht alles lässt sich gleichzeitig realisieren. Deshalb gilt: kurzfristige Quick Wins priorisieren und größere Investitionen mit den ohnehin anstehenden Instandhaltungszyklen verbinden. So bleibt die Strategie planbar, finanzierbar und effizient.

Dekarbonisierung braucht Strategie und Zeit

Dekarbonisierung ist kein Sprint, sondern ein Langstreckenlauf. Von der Analyse bis zur Umsetzung vergehen oft mehrere Jahre pro Gebäude. Wer bis 2045 klimaneutral sein will, muss deshalb jetzt handeln – mit einem klaren Fahrplan, der technische Machbarkeit, wirtschaftliche Tragfähigkeit und regulatorische Anforderungen miteinander verbindet.

Eine fundierte Portfolioanalyse ist das Fundament dafür. Sie schafft Transparenz, macht Risiken sichtbar und übersetzt Klimaziele in konkrete Maßnahmen. Wer heute startet, sichert nicht nur den Wert seines Immobilienbestandes, sondern verschafft sich auch echte Wettbewerbsvorteile – bei Finanzierung, ESG-Bewertung und im Dialog mit Nutzer*innen.

Autor:
Bernhard Schochenmaier
Nachhaltigkeitsberater bei THOST Projektmanagement GmbH